FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 23.10.2025 zum Urteil 12 K 549/23 vom 28.11.2024 (nrkr – BFH-Az.: I R 2/25)
- Versorgungsleistungen, die aufgrund einer früheren gewerblichen Tätigkeit im Inland bezogen werden, sind inländische nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.
- Ist „auslösendes Moment“ für die Zahlung der Versorgungsbezüge die gewerbliche Tätigkeit im Rahmen der früheren inländischen Betriebsstätte, sind die Versorgungsbezüge auch abkommensrechtlich weiterhin dieser früheren inländischen Betriebsstätte zuzuordnen, auch wenn diese im Zeitpunkt der Auszahlung nicht mehr besteht und der Versorgungsleistungsempfänger inzwischen in ein anderes Land verzogen ist.
Sachverhalt
Der Kläger war bis 2014 als Versicherungsvertreter für die Versicherung XY tätig und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Seinen Gewinn ermittelte er gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG durch Betriebsvermögensvergleich. Nachdem er diese Tätigkeit in 2014 aufgegeben hatte, erhielt er in den Streitjahren 2015 bis 2020 neben einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung Versorgungsleistungen aus dem Vertreterversorgungswerk der Versicherung XY. Der Kläger gab seine bislang genutzte Wohnung in Deutschland auf und verzog in die Slowakische Republik (Slowakei). Die Versorgungsleistungen wurden weder in den Gewinnermittlungen während der aktiven Tätigkeit des Klägers bis 2014 noch im Rahmen der Betriebsaufgabebilanz 2014 einkommensteuerlich berücksichtigt. Demgegenüber erklärte und versteuerte der Kläger die Versorgungsleistungen in den Streitjahren in der Slowakei.
Das beklagte FA unterwarf diese der beschränkten Steuerpflicht. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen
Das FA habe die an den Kläger in den Streitjahren gezahlten Versorgungsleistungen zutreffend in Deutschland der Einkommensteuer unterworfen. Die Versorgungsleistungen unterlägen gemäß § 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in Deutschland der beschränkten Einkommensteuerpflicht. Zudem stehe Deutschland nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Slowakei das Besteuerungsrecht zu.
Beschränkte Steuerpflicht
Nach nationalem Recht handele es sich bei den in den Streitjahren gezahlten Versorgungsleistungen um inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, die gemäß § 1 Abs. 4 EStG in Deutschland der (beschränkten) Einkommensteuerpflicht unterliegen würden, weil der Kläger in den Streitjahren 2015 bis 2020 im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe.
Vorliegen einer Betriebsstätte trotz Betriebsaufgabe
Die an den Kläger in den Streitjahren gezahlten Versorgungsleistungen führten zu nachträglichen Einkünften aus Gewerbebetrieb i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 24 Nr. 2 EStG. Für diese Einkünfte werde i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG auch eine Betriebsstätte unterhalten. Zwar habe der Kläger vor den Streitjahren seinen Gewerbebetrieb bereits aufgegeben und im Zeitpunkt der Auszahlung der Versorgungsleistungen keine inländische Betriebsstätte mehr innegehabt. Allerdings sei es für die Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ausreichend, dass die Einkünfte ihre Veranlassung in einer ursprünglich betriebenen inländischen Betriebsstätte hatten.
Weite Auslegung des Betriebsstättenbegriffs
Die Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG sei ihrem Sinn und Zweck entsprechend weit auszulegen. Entscheidend sei, dass die an den Kläger gezahlten Versorgungsleistungen ihre Veranlassung in seiner aktiven Tätigkeit bei der Versicherung XY gehabt hätten und zu einer Zeit „erdient“ worden seien, während dieser eine Betriebsstätte unterhalten habe. Bestätigt werde dies auch durch die zu § 17 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) ergangene Rechtsprechung. Lediglich aus Gründen der Gleichbehandlung mit Arbeitnehmern würden hiernach Versorgungsanwartschaften bei bilanzierenden Selbstständigen – wie dem Kläger – nicht während seiner aktiven Tätigkeit gewinnerhöhend bilanziert, sondern erst im Rahmen der Auszahlung der Einkommensteuer unterworfen. Bei dem Bezug der Versorgungsleistungen handele es sich somit lediglich um eine Auszahlungsmodalität der bereits „erdienten“ Ansprüche. Diese könne nicht dazu führen, dass der in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG implementierte Inlandsbezug durchbrochen werde. Die an den Kläger in den Streitjahren gezahlten Versorgungsleistungen unterlägen somit gemäß § 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in Deutschland der beschränkten Einkommensteuerpflicht.
Kein Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts durch das DBA-Slowakei
Das hiernach begründete innerstaatliche Besteuerungsrecht werde auch nicht nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (DBA-Slowakei) ausgeschlossen.
Versorgungsbezüge für eine vorangegangene selbstständige Tätigkeit seien abkommensrechtlich Unternehmensgewinne
Die Zuweisung des Besteuerungsrechts bestimme sich für die an den Kläger gezahlten Versorgungsleistungen abkommensrechtlich nach Art. 7 DBA-Slowakei und nicht nach Art. 19 DBA-Slowakei. Nach Art. 19 DBA-Slowakei können vorbehaltlich des Art. 18 Abs. 1 Ruhegehälter und ähnliche Vergütungen, die einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person für frühere unselbstständige Arbeit gezahlt werden, nur in diesem Staat besteuert werden. Art. 19 DBA-Slowakei regele somit lediglich die Besteuerung der Bezüge, die für ein früheres privates Arbeitsverhältnis bezahlt würden, wohingegen Ruhegehälter bzw. – wie Streitfall des Klägers – Versorgungsbezüge für eine vorangegangene selbstständige Tätigkeit nicht von dieser Vorschrift erfasst seien.
Gemäß dem hiernach einschlägigen Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Slowakei könnten Gewinne eines Unternehmens eines Vertragsstaats nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass das Unternehmen seine Tätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausübe. Übe das Unternehmen seine Tätigkeit in dieser Weise aus, so können die Gewinne des Unternehmens gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 2 DBA-Slowakei in dem anderen Staat besteuert werden, jedoch nur insoweit, als sie dieser Betriebsstätte zugerechnet werden könnten.
Zuweisung von Betriebsstätteneinkünften
Nach der BFH-Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließe, komme es für die abkommensrechtliche Abgrenzung der Betriebsstätteneinkünfte auf das der jeweiligen Betriebsstätte tatsächlich zuzuordnende Vermögen und das in der Betriebsstätte erwirtschaftete Ergebnis an (sog. Veranlassungsprinzip). Soweit Gewinne einer vormaligen, in Deutschland gelegenen Betriebsstätte zugerechnet werden könnten, stehe das Besteuerungsrecht demnach abkommensrechtlich weiterhin Deutschland zu. Dieser Zuordnung stehe auch nicht entgegen, dass die Betriebsstätte, in der die Gewinne erwirtschaftet worden seien, zum Zeitpunkt des Einkünftebezugs nicht mehr bestehen würde.
Keine Doppelbesteuerung
„Auslösendes Moment“ für die Zahlung der Versorgungsbezüge sei die Tätigkeit des Klägers als Versicherungsvertreter für die Versicherung XY im Rahmen seiner inländischen Betriebsstätte gewesen. Die Versorgungsbezüge seien daher weiterhin der (früheren) inländischen Betriebsstätte zuzuordnen. Eine Doppelbesteuerung in der Slowakei würde gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA-Slowakei dadurch vermieden, dass die Slowakei die Versorgungsbezüge von der Besteuerung ausnehme und diese gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 DBA-Slowakei lediglich einem ggf. bestehenden Progressionsvorbehalt unterwerfe. Gegebenenfalls könne der Kläger, der die Versorgungsbezüge bereits in der Slowakei versteuert habe, ein Verständigungsverfahren i. S. des Art. 25 Abs. 1 DBA-Slowakei einleiten.
Nicht rechtskräftig: Revision beim Bundesfinanzhof (Az. I R 2/25).
Quelle: Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 1/2025
FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 23.10.2025 zum Urteil 12 K 549/23 vom 28.11.2024 (nrkr – BFH-Az.: I R 2/25)
