FG Schleswig-Holstein, Mitteilung vom 30.09.2022 zum Urteil 4 K 55/21 vom 17.05.2022 (rkr)
Mit Urteil vom 17. Mai 2022 (Aktenzeichen 4 K 55/21) hat der 4. Senat des Finanzgerichts erkannt, dass eine Veränderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse nach § 15a Abs. 7 UStG auch beim Übergang von der allgemeinen Besteuerung zur Durchschnittssatzbesteuerung gemäß § 24 UStG vorliegt. Dies gelte auch dann, wenn der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des Leistungsbezuges Einkünfte aus Gewerbebetrieb (hier: aus einer Schlachterei) erklärte, obwohl er tatsächlich als Landwirt der Durchschnittssatzbesteuerung gemäß § 24 UStG unterlegen hätte. Die von vornherein bestehende Absicht des Steuerpflichtigen, mit den Eingangsleistungen landwirtschaftliche Umsätze (hier: aus Bullenmast) zu erzielen, rechtfertige nicht die rückwirkende Vorsteuerkürzung. Zwar kommt es für den Vorsteueranspruch gemäß § 15 Abs. 1 UStG wegen des Prinzips des Sofortabzugs grundsätzlich auf die im Zeitpunkt des Leistungsbezugs gebildete Verwendungsabsicht an. Für die Fälle des Übergangs von der allgemeinen Besteuerung zur Durchschnittssatzbesteuerung gemäß § 24 UStG beinhalte § 15a Abs. 7 UStG jedoch eine rechtssystematisch vorrangige Spezialregelung. Darauf, ob die vorgelagerte allgemeine Besteuerung zu Recht erklärt wurde, komme es nicht an. Entscheidend sei allein der durch den Übergang der Besteuerungsform bewirkte Systembruch, der im Interesse der gleichmäßigen Besteuerung eine nachträgliche Steuerkorrektur erfordere. Allein der Umstand, dass wegen der Nichtaufgriffsgrenze gemäß § 15a Abs. 11 UStG in Verbindung mit § 44 Abs. 1 UStDV im Einzelfall eine Steuerberichtigung zu unterbleiben hat (vgl. dazu das BFH-Urteil vom 3. November 2011 V R 32/10, Leitsatz Nr. 2, BStBl II 2012, 525), rechtfertige es nicht, das rechtssystematische Verhältnis der §§ 15, 15a Abs. 7 UStG zu durchbrechen.
Der Entscheidung des 4. Senats lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der Kläger seinen Betrieb von einer Schlachterei (Gewerbebetrieb) in eine Bullenmast (Landwirtschaft) umgewandelt hatte. Die entsprechende Umqualifizierung der Einkunftsart machte er gegenüber dem Finanzamt erst einige Jahre später nach einem Wechsel in der steuerlichen Beratung geltend. Im Anschluss an eine Außenprüfung kürzte das Finanzamt die zuvor für die „Schlachterei“ gezogene Vorsteuer gemäß § 15 Abs. 4 UStG, soweit diese auf Eingangsleistungen für die Bullenmast bezogen war. Dabei ging es davon aus, dass dem Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen war, dass er einen landwirtschaftlichen Betrieb unterhielt und die Eingangsleistungen für spätere Ausgangsumsätze aus landwirtschaftlicher Bullenmast bestimmt waren. Für derartige Ausgangsumsätze gelte die Sonderregelung der Besteuerung nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 UStG, sodass ein weiterer Vorsteuerabzug nach den allgemeinen Regeln gem. § 20 Abs. 1 Satz 4 UStG entfalle. Dem trat der Kläger entgegen. Er sah allenfalls eine Befugnis zur Vorsteuerberichtigung gemäß § 15a UStG, die jedoch wegen der Nichtaufgriffsgrenze gemäß § 15a Abs. 11 UStG i. V. m. § 44 Abs. 1 UStDV in der vom BFH vorgenommenen Auslegung (vgl. dazu das BFH-Urteil vom 3. November 2011 V R 32/10, a. a. O.) nicht statthaft sei.
Der 4. Senat des Finanzgerichts hatte somit den Tatbestand einer (nachträglichen) Vorsteuerkürzung gemäß § 15 Abs. 4 UStG vom Tatbestand einer Vorsteuerberichtigung gemäß § 15a Abs. 7 UStG aufgrund des Übergangs von der allgemeinen Besteuerung zur Besteuerung nach Durchschnittsätzen abzugrenzen. Dabei stellte sich zunächst die Frage, ob die Regelung gemäß § 15a Abs. 7 UStG auch dann einschlägig ist, wenn ein Scheingewerbetreibender seine Einkunftsart gegenüber der Finanzbehörde erst in einem Folgejahr richtigstellt, sodass die umsatzsteuerlichen Konsequenzen erst nachträglich gezogen werden können. Der 4. Senat hat dies bejaht. Maßgeblich sei allein das aus dem tatsächlichen Wechsel des Besteuerungsformats resultierende Korrekturbedürfnis. Der 4. Senat hat § 15a Abs. 7 UStG zugleich als die rechtssystematisch speziellere und deshalb vorrangige Korrekturregelung angesehen. Die Argumentation des Finanzamts, dass im Streitfall eine nachträgliche Veränderung der ursprünglichen Verwendungsabsicht nicht vorliege, spreche zwar im Allgemeinen gegen einen systematischen Vorrang des § 15a UStG. Umgekehrt sei jedoch in Rechnung zu stellen, dass der Gesetzgeber für den Wechsel im Besteuerungsformat in Gestalt des § 15a Abs. 7 UStG eine spezielle Korrekturvorschrift geschaffen habe, die rechtssystematisch als Fall der Vorsteuerberichtigung ausgestaltet sei. In Bezug auf das für die Ausgangsumsätze geltende Besteuerungsformat habe zudem im Jahr des Leistungsbezugs insofern noch keine vollständige Klarheit bestanden, als es dem Kläger freigestanden habe, gemäß § 24 Abs. 4 Satz 1 UStG für landwirtschaftliche Umsätze innerhalb der dort genannten Frist zur allgemeinen Besteuerung zu optieren.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle: FG Schleswig-Holstein, Newsletter III/2022